Moonlight

Das Lied der SternenDrachin

 


Es war einmal vor langer, langer Zeit, als sich ein glockenfeiner Gesang erhob, hoch oben im Norden auf den äußeren Hebriden, in einem Kessel eingerahmt aus hohen Bergzinnen. Eine kleine Drachin streckte sich gegen den Wind und sang ihr Lied in die Sterne hinauf.

 

Die kleine Drachin fühlte sich einsam und zurückgelassen, offensichtlich hatte sie so lange geschlafen, dass die Erde sich vollkommen verändert hatte. Sie erinnerte sich noch an das sanfte Blau und das helle, leuchtende Gold, an die große, strahlende, alles überragende Pyramide von Poseidonis mit ihrem feinen Klang, der sich durch das Gläserne Meer zog.

Doch weder die Wärme noch das Licht, noch die Sanftheit der kommunikativen Wellen waren anwesend. Was war nur geschehen? Wo waren all die Sternenwesen, all die Sternendrachen nur geblieben?

Die Waise erhob ihren Kopf, spreizte ihre Flügel und sang ihr Klagelied hinaus in den nachtschwarzen Himmel, als gerade ein zarter neuer Mond hinter einer Felsspitze sichtbar wurde. Sie war fasziniert und sog das Licht der Mondsichel mit ihren Schuppen auf, leitete es in ihr Innerstes hinein und öffnete ihren heiligen Tempel für das sanfte Funkeln.

Wärmendes Wohlsein durchflutete sie, weit und tief atmete sie aus, und all die Einsamkeit floss aus ihren tiefsten Tiefen hinaus in die Weite des Nachthimmels.

Ja, nun erinnerte sie sich wieder: Bilder des Goldenen Atlantis, der Zeit des MiteinanderSeins, des VerbundenSeins erfüllten sie mit tiefer ruhiger Freude. Von Virgo kommend war sie eingetaucht in die Materie des jungen Planeten und hatte die Botschaft der Reinheit und Einfachheit verankert in dem neu sich formenden Sein auf Gaia. Durchgetaucht war sie, mit einem Jauchzen hatte sie ihre Flügel abermals gespannt, um wieder das All zu durchmessen und neue Lichtimpulse zu sammeln, um sie in Gaias Kern hineinzupflanzen, in jenen innersten Kern weißen, alles erschaffenden Feuers, jenen Kern der Og Min, der Sternengeschwister, die so emsig ständig Neues auf ihren Töpferscheiben erfanden, um so neuen Formen Leben zu geben mit Licht!

Es war eine gute und fruchtbare Zeit gewesen, sie liebte ihre Tauchgänge hinein und hinaus aus der formbaren Materie, der Zustand von Ausdehnen und Zusammenziehen war ihr so gewohnt wie das Ein- und das Ausatmen der Schöpfung! Sie lebte, sie war SternenDrachin, Licht und Bewusstsein in innigster Liebe zur Materie, sie liebte, und weil sie liebte, lebte sie!

Doch nun, mitten im weißen Mondlicht, im Inneren ihres Heiligtums, tauchten aus den Tiefen ihrer Erinnerung die Bilder der Trennung auf, der Isolation. Sie erinnerte sich, wie sie jauchzend vor erschaffender Freude durch das atlantische Sternentor tauchte, um sich in die Materie zu ergießen, sie erinnerte den Schreck und Schmerz der Dichte, sie erinnerte: das Feststecken… und was noch viel schlimmer war, sie erinnerte das Vergessen, sie erinnerte sich an den Prozess, wo sie sich und ihr Sein vergaß, bevor es dunkel wurde, und kalt.

Moonlight weinte Drachentränen. Dick und schwer tropften sie über ihre Wangen, um an ihren Schuppen abzuperlen und klingend zur Erde zu fallen, wo das Moos sie gnädig verschluckte. Das Licht in ihrem Inneren war erloschen, sie war wieder allein, im hohen Norden, auf jener Insel, dem Himmel so nah und doch so fern.

Die Drachin war gefangen und sie sah nicht die Priesterinnen, die kamen und gingen, wie deren Heilungstempel entstand und wieder zerfiel, sie erkannte nicht jene, die sie wahrnahmen, aber selbst so kraftlos waren und sie nicht wecken konnten, sie hörte nicht die oftmals viel zu lauten Stimmen der modernen Menschen, die über die Hügel des Kessels kletterten, sie sah nicht die Adler, die ihr immer wieder das Lied der Freiheit zusangen. Moonlight trauerte um das, was vergangen. Moonlight fror fest im Verlust der Zeit.

Jahrhunderte kamen und gingen, und die Welt drehte sich scheinbar unbekümmert weiter. Die schroffen Felswände wurden vom Wind glatt geschmirgelt, die Erde wurde fruchtbarer, nach dem Moos wuchs das Gras dicht, satt und grün, die Welt wurde wärmer, doch immer noch saß Moonlight unsichtbar in der Mitte des Kessels.

Die Mondin beschien sie mit unverbrüchlicher Treue, abnehmend und zunehmend, und manchmal, wenn sie voll und rund war, kamen die kleinen Mondfeen im Kessel zusammen und bildeten einen Kreis um die Drachin herum. Sie sammelten die zu durchsichtigem Kristall gewordenen Drachentränen und fügten sie zu einer Kette zusammen, die von Vollmond zu Vollmond länger wurde, bis es den Mondfeen gelang, eine Spirale aus dieser Kette zu legen, in deren Mitte Moonlight im Vergessen hockte.

Die Adler hoch in den Lüften sahen die funkelnde Spirale, denn ihren Augen bleibt nichts verborgen, und sie trugen die Botschaft hinauf in die hohen Lüfte.

Eines Tages, als Altair, der Älteste des Adlerclans von Skye, mit dem Nordwind segelte, bemerkte er eine uralte Präsenz in den Lüften. Er streckte sich und folgte der Energie. Die Winde trugen ihn hoch, hoch hinauf in ungeahnte Höhen, und dort, wo einst die Barriere war, so schien es ihm, war nun die Schicht um die Erde herum durchlässig geworden, und die Funkelwellen des Sternenlichtes berührten sein Bewusstsein.

„Es ist an der Zeit“, hörte er die Sterne flüstern, “weck sie auf, erinnere Moonlight auf Skye an das Licht, das Liebe ist, das war und immer sein wird. Die Zeit der Trennung ist vorbei, neu formt sich, was schon immer Eins war und die Schleier der Matrix erheben sich in der Freiheit eines neuen Aeons! Weck sie auf und erinner’ sie, was sie ist! Sie ist Sternenbewusstsein, geliebtes Kind der AllEinen Mutter, erinnere sie, dass sie liebt, lieben kann und lieben darf, erinnere sie, dass sie die Liebe ist!“

Altair legte die Flügel an und überließ sich einem Sturzflug zurück in die Welt der Materie. Er kreiste über seine Berge, über Zinnen und Spitzen und der volle Mond wies ihm den Weg zu der funkelnden Kristallspirale, in deren Mitte die Drachin saß. Er umrundete sie und wirbelte mit seinen Flügeln kleine Winde auf den Boden, die sich unter die Drachenperlen schoben. Mit kräftigen Flügelschlägen und dem Geschick seines Clans brachte er die Kristalle in der Spirale dazu, sich vom Boden zu erheben und wirbelnd zu tanzen, genauso wie einst die Sternenfahrer der Og Min die großen Steine von Stonehenge und Carnac zum Tanzen gebracht hatten.

Die Kristalle funkelten, tanzten, glänzten und begannen zu singen. Die Mondfeen kamen und stimmten ein in den alten Gesang des Gläsernen Meeres aus lang vergangener Zeit.

Und dieser Gesang, der alles durchdringende verbindende Ton des MiteinanderSeins erreichte Moonlight! Die Trauer schmolz, der innere Tempel erfüllte sich wieder mit Klang und Licht, es schien ihr, als sei Atlantis erneut erstanden. Neue Möglichkeit, neues Sein durchpulste sie mit Leben, und sie öffnete ihre strahlenden Funkelperlenaugen und schaute direkt hinein in das Antlitz des Vollen Mondes, der sich tausendfach in den Kristallen spiegelte. So viel sanftes Licht, so viel unendliche Hingabe durchströmte sie, befreite sie, heilte sie. Weit atmete sie all das Alte aus, entließ die Einsamkeit des GetrenntSeins und füllte ihre Lungen mit dem strahlenden, lichten Ton des Mondes. Tief in ihrem innersten Tempel vereinigte sich das Licht der Kristalle mit dem Licht des Mondes und formte sich zu einer Blüte der Hoffnung, einer Blume des Lebens und der Liebe zu allem Sein.

Moonlight dehnte ihre Flügel, langsam, genussvoll und ausführlich, dann streckte sie ihren Körper und erhob sich auf die Hinterbeine. Elegant streckte sie ihren langen Hals dem Mond entgegen, und endlich, nach so langer Zeit, sang sie wieder, ihr Lied, ihr Liebeslied des Seins. Im Gesang erhob sie sich, flog hoch hinauf und hinaus in die Weiten des Universums, um neuen Sternenglanz zu sammeln und ihn mit Gaia zu vereinen, auf das das Licht der Sterne auf all unser MitEINander scheinen möge!

Trixa, Müllheim 29.12.2003